2010: EU-Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
15. Februar 2010Stellungnahme des Forums Menschenrechte
Die Europäische Union hat das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung erklärt. Das Forum Menschenrechte begrüßt diese Initiative. Sie fällt in eine Zeit, in der in Deutschland ungefähr 14 % der Menschen von Armut betroffen und Zehntausende davon bedroht sind. Dies geschieht, ohne dass der Staat mit der gleichen Entschlossenheit reagieren würde, wie er es in Bezug auf die Finanzkrise getan hat, obwohl es sich auch hier um eine strukturelle Krise handelt. Armut schränkt die Möglichkeiten der Betroffenen ein, ihre Rechte wahrzunehmen. Dies bedeutet unter anderem eine kürzere Lebenserwartung, einen niedrigeren Bildungsstand und eine höhere Arbeitslosenquote, einen schlechteren Zugang zur Justiz und geringe politische Beteiligung – die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter.
Das Forum Menschenrechte erwartet, dass Deutschland im EU-Jahr einen entscheidenden Einfluss auf die europäische Politik nimmt, damit soziale Gerechtigkeit und Überwindung von Armut auch in Europa und weltweit die ihnen zukommende Priorität und nötigen Mittel erhalten.
In diesem Zusammenhang soll Deutschland auch die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele 2015 entschlossener als bisher vorantreiben.
Ausgehend von den offiziellen Zielen und Leitprinzipien zum EU-Jahr erhebt das Forum Menschenrechte drei spezifische Forderungen:
Forderung 1: Anerkennung des Grundrechts der von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen auf ein Leben in Würde und auf umfassende Teilhabe an der Gesellschaft; Achtung, Schutz und Gewährleistung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte der Menschen sowie die Bereitstellung ausreichender Ressourcen und – wie die Europäische Union formuliert hat – „hochwertiger Dienstleistungen“ zu ihrer Umsetzung:
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Gestützt auf diese Zielformulierungen fordert das Forum Menschenrechte die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat dazu auf, die Mobilisierung von Politik und Öffentlichkeit im Jahr 2010 dafür zu nutzen, über die Durchführung des EU-Jahres hinaus auf der Grundlage der Menschenrechte eine nationale Strategie zu entwickeln mit dem Ziel einer nachhaltigen Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung.
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Dabei soll auch die Forderung des Europäischen Parlaments umgesetzt werden, dass alle Menschen, die direkt oder indirekt Erfahrungen mit Armut gemacht haben, Gelegenheiten haben, sich an der Ausformulierung einer solchen nationalen Strategie zu beteiligen.
- Durch die bisher getroffenen Maßnahmen konnte die Armut in Deutschland nicht wirksam bekämpft werden. Daher gehört zu einer solchen Strategie auch die Selbstverpflichtung der Politik, die bestehenden Gesetze und Leistungen auf ihre Wirksamkeit in Bezug auf Armutsbekämpfung regelmäßig und kritisch zu überprüfen. In diesem Zusammenhang sollte ein neuer Armuts- und Reichtumsbericht aus der Perspektive der Menschenrechte -und unter aktiver Beteiligung der Betroffenen – erarbeitet werden.
Forderung 2: Stärkung der rechtlichen Verpflichtung der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten, einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu leisten.
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In diesem Sinne fordert das Forum Menschenrechte die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat dazu auf, während des EU-Jahres ein klares Zeichen zu setzen und
- relevante internationale Abkommen zu ratifizieren, insbesondere
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die revidierte Europäische Sozialcharta des Europarates,
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die Konvention des Europarates gegen Menschenhandel,
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das Internationale Übereinkommen zum Schutz der Rechte von Wanderarbeiter/innen und ihren Familienangehörigen,
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das Fakultativprotokoll (vom Dezember 2008) zum UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte;
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- des weiteren die bei der Ratifizierung des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes gemachten Vorbehalte zurückzunehmen;
- die Bemühungen der Internationalen Arbeitskonferenz in den Jahren 2010 und 2011 zu unterstützen, ein Übereinkommen zum Schutz der Hausangestellten zu erarbeiten.
Forderung 3: Ausgehend von der Tatsache, dass die Europäische Union eine zunehmend wichtigere Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit und als Nord-Süd-Akteur spielt, soll sie das Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung auch nutzen, um die Entwicklungsarbeit so aufzustellen, dass sie den Zielen des EU-Jahres entspricht:
Die Europäische Entwicklungspolitik sollte konsequent armutsorientiert ausgerichtet sein. Dazu gehören unter anderem folgende Aspekte:
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Bereitstellung ausreichender Ressourcen zur armutsorientierten Ausgestaltung der EU-Entwicklungszusammenarbeit. Der für diese Aufgaben vorgesehene Anteil an der Entwicklungszusammenarbeit sollte gesteigert werden und die Mittel mit einem menschenrechtsbasierten Ansatz eingesetzt werden.
- Besonders armutsrelevante Sektoren der Entwicklungszusammenarbeit sollen in Zukunft erheblich mehr Aufmerksamkeit erhalten, wie beispielsweise die für die Hungerbekämpfung wichtige Unterstützung „ländlicher Entwicklung“ und des Rechts auf Nahrung.
- Im Sinne der parteiübergreifenden Bundestagsinitiative zur Förderung sozialer Grundsicherung sollte sich die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union für die Aufnahme der Förderung sozialer Grundsicherungsmodelle als wichtiges Element in der Entwicklungszusammenarbeit einsetzen.
Anlässlich des Review-Prozesses zu den Millenniums-Entwicklungszielen im September in der Generalversammlung der Vereinten Nationen sollten sich sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union für eine Aufnahme von menschenrechtlichen Verpflichtungen in die Zielformulierungen der Millenniums-Entwicklungsziele einsetzen.
Stellungnahme als PDF
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